Aus der Interview-Reihe „Nachgefragt“, Annette von Hagel im Interview mit BIM-events.de
BE: Sehr geehrte Frau von Hagel, Sie sind seit Jahren im Bereich BIM, FM und Gebäudedokumentation zu Hause und waren unter anderem viele Jahre bei der BIMA. Niemand wie Sie hat in der Vergangenheit auf die Notwendigkeit einer sauberen Dokumentation wiederholt hingewiesen. Nicht zuletzt wegen des Recyclings. Zudem gehören Sie zu den ersten ExpertInnen, die auf BIM-Events.de veröffentlicht wurden. Ist das insgesamt soweit richtig und haben Sie etwas zu ergänzen?
AvH: Das ist soweit richtig. Der entscheidende Blick auf den Lebenszyklus einer Immobilie ist noch zu ergänzen. Planen, Bauen, Betrieb und Rückbau müssen als ganzes System gedacht werden. Die Erfahrungen aus den jeweiligen Phasen müssen in den jeweils anderen Phasen berücksichtigt werden. Es ist leider noch immer nicht gängige Praxis, dass die optimalen Abläufe des Gebäudebetriebes, wie Reparaturen und Austausch defekter Einbauten, Reinigung der Fassade, in der Planungsphase bereits durchgespielt wird. Die Rückbau- und Recyclingfähigkeit müssen ebenfalls dringend beachtet werden, dies wirkt sich auf die Betriebskosten aus.
BE: Wie gesagt, Sie sind schon seit vielen Jahren hier aktiv: Die Verbindung zwischen Gebäudenachhaltigkeit, BIM und der Gebäudedokumentation haben Sie als sehr wichtig eingestuft. Hat sich hier etwas vor allem in der Praxis getan? Wenn ja, dann was?
AvH: Ja, es hat sich etwas getan. Mittlerweile weiß man, dass eine digitale Gebäudedokumentation unentbehrlich für die Werthaltigkeit einer Immobilie ist. Dies ist vor allem den Anforderungen der Taxonomie und weiterer regulativer Verschärfungen zu verdanken. Mit der EU-Taxonomie wurde ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Immobilien erstellt, das Investoren, Unternehmen und Projektträgern hilft, ihre Immobilien bzw. wirtschaftlichen Aktivitäten an den Kriterien der Nachhaltigkeit auszurichten. Der Klimaschutz ist für Neubau und Sanierung von zentraler Bedeutung. Die Taxonomie entwickelt sich zum etablierten Instrument, welches laufend weiterentwickelt wird und insbesondere in der Kreditvergabe eine Rolle spielt. Aus dem vom 21. April 2021 veröffentlichten delegierten Rechtsakt liegen für die Bewertung der Nachhaltigkeit von Immobilien Kriterien vor.
BE: Vielen Dank. Es ist immer wieder zu hören, dass die Normen zur Nachhaltigkeit neu aufkommen, vor allem auf EU Ebene. Das ist für viele verwirrend. Können Sie hier einige konkrete Ereignisse aufzählen?
AvH: Tatsächlich sind es Richtlinien und Verordnungen auf EU-Ebene. EU-Richtlinien müssen in nationales Recht umgesetzt werden. EU-Verordnungen gelten unmittelbar. Des Weiteren werden wie beim Green Deal übergeordnete Vereinbarungen getroffen, die umgesetzt werden müssen. Ich weiß nicht, wer den Green Deal kennt, er wurde im Dezember 2019 vorgestellt. Das zentrale Ziel des Green Deals ist ein klimaneutrales Europa bis 2050. Der Green Deal umfasst Initiativen, die eine Reihe eng miteinander verflochtener Politikbereiche betreffen: Klima, Umwelt, Energie, Verkehr, Industrie, Landwirtschaft und nachhaltiges Finanzwesen.
„Fit für 55“ überträgt die Ziele des Grünen Deals in Rechtsakte. Konkret handelt es sich um eine Reihe von Vorschlägen, mit denen bestehende Rechtsvorschriften im Bereich Klima, Energie, Gebäude und Verkehr aktualisiert und neue Gesetzgebungsinitiativen eingeführt werden sollen. Ziel ist es, die Rechtsvorschriften der EU an die Klimaziele der EU anzupassen.
Überarbeitung des Emissionshandelssystems der EU (EU-EHS/ETS), Erweiterung des Emissionshandelssystem auf Mobilität und Gebäude (EU-ETS II), Überarbeitung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie, Neufassung der Energieeffizienz-Richtlinie, Überarbeitung der Energiebesteuerungsrichtlinie, CO2-Grenzausgleichssystem, Sustainable Finance Disclosure Regulation, Überarbeitung der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD), Europäisches Klimaschutzgesetz
BE: Das ist schon sehr hilfreich. Welche konkreten Handlungsfelder ergeben sich für die AuftragnehmerInnen aber auch für Ingenieure und Ingenieurinnen daraus?
AvH: Die Herausforderungen werden immer komplexer. Dies kann mit Unterstützung und Beratung oder dem Einsatz entsprechender IT-Lösungen bewältigt werden. Die regulativen Vorgaben zu durchforsten und die entsprechenden Schlüsse zu zielen, wird immer komplizierter. Da dies Teil der Beratung der Circular Building ist und wir uns beinahe tagtäglich seit vielen Jahren mit diesen Themen auseinandersetzen, kennen wir den zeitlichen Aufwand. Das ist nicht nebenbei zu erarbeiten.
BE: Also wird es für kleine Büros allein eher schwierig.
AvH: Ein kleines Büro müsste mindestens eine Person zusätzlich bezahlen, die die regulativen, normativen, technischen und gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Entwicklungen aktiv verfolgt, die daraus resultierenden Anforderungen interpretiert und in praxisorientierte Handlungsempfehlungen umsetzt.
BE: Sie sind seit vielen Jahren bei der Re!source aktiv. Was tut der Verein und wo kann er oder wo können Sie unterstützen?
AvH: Wir entwickeln in verschiedenen Arbeitskreisen Lösungen und beraten vor allem auf politischer Ebene. Mittlerweile können wir einen erheblichen Erfolg verbuchen. Ressourcen und Recycling spielen in der politischen Diskussion und in der Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Messen wie die Bau 2025 und Expo Real setzen Ressourcen & Recycling als Leitthemen in ihre Agenda. Als ich die Re!source Stiftung gründete waren diese Themen weder in den Bewertungs- und Zertifizierungssystemen genannt.
BE: Können Sie gegebenenfalls noch einen konkreten Handlungsbedarf nennen?
AvH: Es ist entscheidend schnell zu handeln, sich qualifizierte Beratung oder Kooperationen zu sichern. Dies gilt sowohl für ImmobilieneigentümerInnen wie auch Ingenieur- und Architekturbüros. Die Aufgaben sind komplex und wirken in den kommenden Jahren auf den Erfolg oder Misserfolg der Baumaßnahmen aus. Die Anforderung verändern sich aufgrund der vielschichtigen Zusammenhänge in immer kürzeren Zyklen.
BE: Frau von Hagel, vielen Dank für Ihre Zeit. Gibt es noch eine Empfehlung für die Praxis?
Die Projektumsetzung sollte im Hinblick auf die künftige Entwicklung aufgrund der Klimaveränderung erfolgen. Es geht darum die Gebäude zukunftsfähig bauen bzw. zu modernisieren.
BE: Danke sehr!