Inzidenzwert für jeden Baustoff auf Knopfdruck

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GASTKOMMENTAR:
Inzidenzwert für jeden Baustoff auf Knopfdruck

Ulrich Hartmann
Die Bekämpfung der glo­balen Pandemie ist eine Schlappe für das Informa­tions­mana­gement. Da sind wir doch im Bauwesen seit  BIM viel besser auf­ge­stellt!? Bei uns gibt es keine Zettelwirtschaft, wie auf den Gesundheitsämtern. Unsere Bauämter wurden schon vor Jahrzehnten mit modernsten Windows XP Rechnern ausgestattet. Digitaler Bauantrag? Kein Problem, der digitale Datenstandard XPlanung ist gesetzlich vorgeschrieben! Für die Herausforderungen der Umsetzung in den über zehntausend Gemeinden in Deutschland gibt es zahlreiche motivierende Youtube-Videos. Mit freundlichem Wohlwollen auf Länderebene darf ebenfalls gerechnet werden.
Über unterschiedliche COVID-Regeln auf jedem Dorfanger können wir vom Bau nur milde schmunzeln. Bei Bauvorschriften und Produktzulassungen haben wir die föderale Vielfalt längst bis an die Grenzen der Handlungsfähigkeit ausgereizt. So kann jedes Bundesland selbst entscheiden, welche Feuerwiderstandsklasse für ein Bauteil angemessen ist und so auf die lokalen Gegebenheiten zielgenau eingehen. Manches brennt nun mal in einem Flächenstaat wie Bayern schneller ab als in dichtbesiedelten Gebieten, wie Berlin oder Hamburg. Bauproduktehersteller müssen die dementsprechende Vielfalt der Vorschriften beachten und Zulassungen berücksichtigen, dank eines durchgängigen Informationsmanagements heute kein Problem mehr (?)
Die Bekämpfung der globalen Pandemie ist eine Schlappe für das Informationsmanage­ment. Da sind wir doch im Bauwesen seit BIM viel besser aufgestellt!?
Die strikten Zugangskontrollen auf unseren Baustellen brauchen den Vergleich mit dem Einzelhandel nicht zu scheuen. Dank BIM-Informationsmanagement wissen wir genau, wer, wann und wo arbeitet und koordinieren die Arbeitsabläufe so, dass Mindestabstände eingehalten werden (?)
Die Nachverfolgung von Infektionsketten wäre für uns kein Problem. Dank digitaler Modelle können wir den „Inzidenzwert“ für jeden einzelnen Baustoff in jedem Stadtquartier jederzeit auf Knopfdruck ermitteln und die Lieferkette jederzeit nachverfolgen.
Tja, Gesundheitssystem: wer ständig nur auf Nasenlänge der Welle hinterherläuft und sie zur ­Dauerwelle macht, hat augenscheinlich nicht die richtigen Instrumente. Die Erkenntnis, neue Technologien könnten der Schlüssel zur Lösung sein, kommt unter dem Druck der Krise wohl deutlich zu spät. Da hat die Bauwirtschaft wohl auch bei akuten Gefahrenlagen die Nase vorn.
Die Nachverfolgung von Infektionsketten wäre für uns kein Problem. Dank digitaler Modelle können wir den „Inzidenzwert“ für jeden einzelnen Baustoff in jedem Stadtquartier jederzeit auf Knopfdruck ermitteln und die Lieferkette jederzeit nachverfolgen.
Der Inzidenzwert von Asbest in einem Stadtquartier – dank Informationsmanagement à la BIM heute kein Problem mehr! Wir wissen doch was verbaut wurde (?)
Schauen wir auf die Bauabfälle. Ihre Entstehung wird dank modellbasierter Planung schon im Keim erstickt. Bei uns würden keine Impfdosen am Ende des Tages weggeschmissen, weil wir keine Ahnung haben, wo zu später Stunde noch hin mit dem Zeug. Wir wissen genau, wieviel Baustoffe wir bestellen müssen und auch der Verschnitt wird dank digitaler Modelle bereits im virtuellen Raum minimiert, bevor er real entsteht. Genau darum ist der Bau als größter Wirtschaftszweig für gerade mal knapp über 50 % des gesamten Abfallaufkommens verantwortlich.
Und für den, der dank BIM-Informationsmanagement nach Jahrzehnten noch weiß, welche Bauprodukte und Wertstoffe im Gebäude drinstecken, ist auch die Wiederverwendung dieser Baustoffe kein Thema.
Die Energiewende führt bei uns sogar zu einem Boom bei den Unternehmensgründungen. Denn jeder, der ein Solarpanel auf dem Dach hat und Solarstrom einspeist, muss bei uns ein Gewerbe anmelden. Die Holländer sind da nicht so clever. Dort muss man kein Solarunternehmer werden. Es reicht nur ein Zettel, den der örtliche Handwerker ausfüllt, dann können nachhaltige Solarprodukte installiert genutzt werden. Bei uns richtet sich die steuer­liche Behandlung nachhaltig produzierten Stroms (natürlich abhängig vom Bundesland) nicht etwa, wie Unkundige meinen könnten, nach dem Nutzen für die Umwelt, etwa der CO2-Einsparung, sondern danach, ob der Wechselrichter vor oder nach dem Batteriespeicher in die Photovol­taikanlage integriert wurde.
Auch das ständige Klingeln an der Haustür, wie in Großbritannien, bleibt uns erspart. Es geht nicht um staatlich finanzierte FFP2 Gesichtsmasken. Nein, dort wollen lokale Anbieter staatlich unterstützt Bestandsgebäude energetisch auf den neusten Stand bringen und der Hausbesitzer muss keinen müden Penny dafür hinblättern. Da steckt doch bestimmt wieder die Bauprodukte-Lobby dahinter!
Unser BIM-Impfplan hat drei Stufen. Ob wir jemals die zweite Stufe erklimmen werden, wissen aber wohl selbst die Götter kaum …
Zugegeben: In einem Punkt allerdings ist uns die Pandemiebekämpfung voraus. Auf die Erstimpfung folgt unweigerlich die zweite, dann kann sich die volle Wirkung entfalten. Unser BIM-Impfplan hat drei Stufen. Ob wir jemals die zweite Stufe erklimmen werden, wissen aber wohl selbst die Götter kaum …
In diesem Sinne liebe Leserin und lieber Leser, rufe ich Ihnen zu „Wir schaffen das!“. Die Innovativkraft und Qualität unserer Bauprodukte sind der Schlüssel zur Lösung. Es sind oft die Rahmenbedingungen, die ein Aufsperren des Tores hemmen. Auch die Politik muss sich bewegen, damit der Umsetzung nichts im Wege steht.
Von Ulrich Hartmann erscheint Anfang Dezember 2021 im Verlag Ernst & Sohn das Handbuch „Building Information Modeling – Grundlagen, Standards, Praxis / Digitales Denken im Ganzen“