16. buildingSMART Anwendertag – Viel Applaus für eine Watschen

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16. buildingSMART Anwendertag – Viel Applaus für eine Watschen

Bilder und Bericht von Ulrich Hartmann, Oracle+aconex
Mit einem Highlight begann der 16. buildingSMART Anwendertag in der Meistersingerhalle zu Nürnberg. Wer befürchtet hatte, ein selbstgefälliges ‚business as usual‘ aus artigen Vorträgen und dekorativen Präsentationen der üblichen Softwarehersteller vorzufinden, wurde gleich zu Anfang eines Besseren belehrt.
Zuerst die gute Nachricht: Deutschland wird nicht von BIM überrollt, denn auch in Deutschland gibt es mutige Unternehmer wie Projektentwickler und Firmengründer Christoph Gröner, CG Gruppe AG, die die BIM-Rolle selbst in die Hand nehmen.
Nicht als Bedrohung, sondern als unternehmerische Chance nutzt er BIM bereits seit einigen Jahren, um 1000 und mehr Wohneinheiten pro Jahr mit eigener Baukompetenz hochwertig und effizient zu erstellen.
Dem erstaunten Publikum schlug er ein Bündel von Tatsachen um die Ohren, dass es sich gewaschen hatte. Sein Vater habe für einen VW-Käfer noch ca. ein Jahresgehalt aufwenden müssen, seine Sekretärin lediglich ein halbes, und das bei einer astronomisch angestiegenen Qualität und Leistungsfähigkeit eines heutigen Automobils. Eine eigene Immobilie könnten sich heute dagegen nur die oberen 15 % der Bevölkerung leisten. Während in der Automobilindustrie, bei steigender Leistungsfähigkeit der Produkte, also ein Preisverfall zu verzeichnen sei, sehe man in der Bauindustrie eine stark gegenläufige Tendenz, mit allen sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen. Schon deshalb sei eine drastische Effizienzsteigerung in diesem Bereich ein dringendes gesamtgesellschaftliches Erfordernis. Hut ab vor so viel unternehmerischen Verantwortungsgefühl, Herr Gröner! Wo liegen die Gründe für eine derart drastische Diskrepanz zwischen den beiden Industriezweigen? Auch das rechnet Gröner vor. Geringer Vorfertigungsgrad, dafür prekäre unterbezahlte (5€/Std.) Beschäftigungsverhältnisse auf unseren Baustellen. Die Fertigstellungszahlen bei Wohnimmobilien lägen in den meisten deutschen Großstädten oft weit unter dem Bedarf, die Mieten als Folge mit durchschnittlichen Vollzeitgehältern nicht mehr bezahlbar.

Produktivität ohne BIM rückläufig. Abläufe im Baubereich seit 2000 Jahren prinzipiell unverändert. Christoph Gröner, CG Gruppe AG

 
Wie schon beim vergangenen Anwendertag in Mainz fand auch auf dem  16. buildingSMART Anwendertag wieder ein openBIM Workshop statt. Hier zeigten acht Lösungsanbieter Live, wie man an einem realen Projekt über eine Kollaborationsplattform BIM-konform zusammenarbeitet. Besucher des Anwendertags mussten sich hier leider entscheiden zwischen den parallel laufenden Vorträgen und den Praxis-Demonstrationen. Ca. 100 Besucher entschieden sich für den Praxisworkshop, ein voller Erfolg des vom ccBIM organisierten Events. Hier hatten Besucher Gelegenheit „BIM at Work“ zu erleben und im direkten Gespräch mit Experten detaillierte Antworten zu bekommen. Bei der Moderation des Workshops schlug Frank Weiss, aconex AG, in die gleiche Kerbe wie Gröner:
Wie könne es sein, dass in einer volkswirtschaftlich so wichtigen Industrie wie dem Baubereich 10 % Fehlerquote als tolerabel erachtet würden? Bei der Durchdringung mit digitalen Technologien läge die Bauindustrie gerade mal vor der Agrar- und Forstindustrie auf den hinteren Rängen, die Folge von gerade mal 1% IT-Investment, bei 5%-8% in vergleichbaren Industrien.
Bauindustrie braucht Investitionen bei der Digitalisierung. Frank Weiss, aconex AG.

 
Parallel zu den öffentlichen Veranstaltungen des Anwendertags fanden am Vortag die Fach-Workshops der buildingSMART Mitglieder statt. Neben Fachgruppen, die sich mit der BIM-Umsetzung in den verschiedenen Fachdisziplinen beschäftigen, ist auch ein neues BIM-Anwenderhandbuch im Gespräch. Bei diesen Workshops sind Anwender und Experten unter sich und -ich plaudere hier aus dem Nähkästchen- auch hier geht es oft hoch her. Wer, wie ich, als BIM-Experte in einem international operierenden Unternehmen das Glück hat, über den nationalen Tellerrand hinaus schauen zu dürfen, kann sich in den Workshops das eine oder andere kritische Wort zur deutschen Mentalität oft nicht verkneifen. Doch siehe da, auch bei den deutsch­sprachigen Kollegen trifft Kritik an deutscher Detailverliebtheit und mangelndem Pragmatismus oft auf mehr, als nur verständigem Kopfnicken. Der bewusst zweifach interpretierbare neue Slogan des OpenBIM Workshops “BIM einfach machen” soll hier Mut machen den ersten Schritt zu wagen, der bekanntlich immer der schwerste ist.
Bei so viel Schelte und offener Kritik mit heiler Haut aus Vorträgen und Workshops zu kommen erlaubt nur eine Schlussfolgerung:
Besucher des Anwendertags sind BIM-Macher, die etwas bewegen wollen. Sie können nicht nur mit dieser Kritik leben, nein, sie sind dabei, Tatsachen zu schaffen für eine neue Bauindustrie, die ihren gesellschaftlichen Anforderungen gerecht wird.
Ulrich Hartmann, Oracle+aconex, Produkt Management BIM Experte
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