Lehre und neue Kompetenzen – Woher kommen die neuen Mitarbeiter?

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Aus der Interview-Reihe „Nachgefragt“, Dr.-Ing. Christian K. Karl im Interview mit BIM-Events.de.

 

 

BE: Sehr geehrter Herr Dr. Karl. Sie sind bereits seit vielen Jahren im BIM Umfeld aktiv. Stellen Sie sich bitte kurz vor, damit die Leser Sie und Ihre Tätigkeit einordnen können: Wo kommen Sie her und wie ist die Schnittstelle zu BIM bzw. zur Digitalisierung Bau?
Bei mir wäre eher die Frage wer sind Sie und wie viele? Nein, Spaß beiseite. Also, von meinem ursprünglichen Hintergrund bin ich Bauingenieur mit Schwerpunkten im Baumanagement, konstruktivem Ingenieurbau, Materialwissenschaften und Wasserbau. Ich habe in verschiedenen nationalen und internationalen Projekten mitgewirkt, ob es der Wohnungs- und Gewerbebau war, Straßenbau oder auch Innovationsprojekte im Energiesektor. Während dieser beruflichen Stationen u.a. in der Baukalkulation, der Softwareentwicklung, der Bauleitung oder als forensischer Analyst habe ich erkannt, dass viele Probleme im und am Bau aus den Bereichen Kommunikation, Koordination und damit eng verbunden im Austausch von Daten und Informationen resultieren. Das brachte mich dann dazu, mich intensiver mit der digitalen Transformation in der Bau- und Immobilienwirtschaft beschäftigen zu wollen, was ich z.B. im Rahmen meiner Promotion machen konnte. Dabei habe ich erkannt, dass es notwendig ist die persönlichen, sozialen und technischen Ebenen ganzheitlich zu betrachten. Und aus dieser Erkenntnis fokussierte ich mich auf den Bereich der Aus- und Weiterbildung als Schlüssel für eine erfolgreiche digitale Transformation. Aktuell leite ich die Fachdidaktik Bautechnik an der Universität Duisburg-Essen und berate auch verschiedene Akteure in der Bau- und Immobilienwirtschaft.

 

BE: Viele Büros benötigen fähige und verständige Mitarbeiter/innen, für die digitale Tools selbstverständlich sind. Können Sie uns sagen, wo die Aus- und Weiterbildung an den Universitäten steht? Können Sie diesen Büros sagen, ob Sie hier fündig werden und auf Abgänger hoffen können?
Nun, darauf gibt es keine generelle Antwort. Als ich 2012 von meinen ersten Forschungsaufenthalten an der Stanford University und dem Georgia Tech zurück kam, wollte ich natürlich alles was ich dort gesehen habe in der Lehre umsetzen. Zu dem Zeitpunkt waren die Universitäten und Hochschulen in Deutschland insgesamt gesehen noch gar nicht so weit. Es gab vereinzelt First-Mover und Smart Follower. Im Gegensatz zu den USA, wo Treiber eher der Wille und das Handeln sind, ist in Deutschland eher zurückhaltendes Abwarten die Devise. Das hat natürlich Auswirkungen auf alle Ebenen, auch auf das Feld der Aus- und Weiterbildung. Sie müssen bedenken, wenn wir Menschen qualifizieren wollen, dann müssen wir erst einmal Personen haben, die bereits fachlich versiert sind und in der Lage sind dieses adäquat zu vermitteln. Nicht überall, wo BIM oder BIM Lab drauf steht, wird auch wirklich BIM gemacht. Auch wenn vorhin das zurückhaltende Abwarten etwas negativ konnotiert war, so war es meiner Ansicht nach gut, dass zunehmend Regelungen in Form von Normen und Richtlinien entwickelt wurden, um z.B. dem zunehmenden Wildwuchs von Lehrgängen entgegenzuwirken. Und da kommen wir auch zu den Universitäten und Hochschulen, die mit solchen Normen und Richtlinien zunehmend in die Lage versetzt werden ihre Studiengänge nach einheitlichen Standards auf die Anforderungen der Praxis anzupassen. Beispiel einer zu diesem Zweck hilfreichen Richtlinie ist die VDI/bs 2552 Blatt 8.1 – 8.3, an der ich auch mitarbeiten durfte. Aber Vorsicht! Wir dürfen jetzt nicht erwarten, dass die akademische Ausbildung, die zu Recht sowohl in der Breite als auch in der Tiefe eine vielfältige Ausbildung ist, jegliche Details der digitalen Transformation in der Lehre abdecken kann. Ich sage Ihnen auch warum. Weil die digitale Transformation in der Gesamtheit ein riesengroßes Feld ist – nicht umsonst ist es ein Megatrend – und weil akademische Bildungseinrichtungen – und das ist jetzt keine Kritik, sondern einfach eine Tatsache – oftmals träge Schiffe sind. Damit meine ich nicht die Menschen, die in Forschung und Lehre tätig sind. Auch nicht die Mitarbeitenden in Technik und Verwaltung. Grund der Trägheit – oder sagen wir eher der begrenzten Dynamik – sind z.B. Regelungen bei der Studiengangentwicklung und -anpassung wie auch Restriktionen bei den Ressourcen. Und hier zeigt sich, dass die Weiterbildung nach dem Studium eine weitere wichtige Komponente ist, da Weiterbildungsanbieter oftmals rascher auf Anforderungen der Praxis reagieren können bzw. spezifische Bedarfe besser abbilden können. Innerhalb individuell ausgerichteter Weiterbildungen können die Mitarbeitenden passgenau auf die Aufgaben und Verantwortlichkeiten in der Organisation qualifiziert werden. D.h. Büros können zwar auf Abgänger hoffen, für die digitale Tools selbstverständlich sind. Aber die Büros müssen auch gewillt sein, kontinuierlich in die Weiterqualifizierung dieser Personen zu investieren.

 

BE: Danke für den vielen Input. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht?
Zusammenfassend kann ich Ihnen sagen, dass die Lehre an den Universitäten und Hochschulen hinsichtlich BIM mehr und mehr Fahrt aufgenommen hat und wir zunehmend Absolventen vorfinden werden, die sich im Studium mit der Thematik befasst haben. Neben der Fachkompetenz, die diese Absolventen mitbringen, ist jedoch die Tatsache wichtig, dass wir mit Ihnen mehr und mehr (BIM-)Evangelisten in der Bau- und Immobilienwirtschaft vorfinden werden – also Menschen, die in den Unternehmen und Büros helfen werden, die Grundlagen dieser digitalen Bewegung zu vermitteln und zur Anwendung inspirieren.

 

BE: Sie sind auch an der Entwicklung neuer Berufsfelder beteiligt, z.B. im Handwerk, nicht wahr? Können Sie uns etwas dazu sagen? Was tut sich hier und welche Rollen oder Verantwortlichkeiten entstehen hier?
Ja, das bin ich. Generell gesprochen zeigt sich gerade im Handwerk ein nicht einheitliches Bild. Es gibt diejenigen, die der Ansicht sind, dass das Thema BIM noch keine Relevanz für sie hat. Oft wiegen sie sich durch eine noch gute Auftragslage in Sicherheit. Diejenigen, die sich für das Thema interessieren, finden eben wegen der guten Auftragslage kaum Zeit sich mit dem Thema zu befassen. Und wenn dann die Auftragslage schlechter sein sollte, dann wird kein Geld investiert für eine Weiterbildung. Ein Teufelskreis. Um hier entgegenzuwirken, wird über verschiedene Initiativen versucht, das Thema BIM auch im Handwerk zu adressieren.

Und das aus gutem Grund. Nehmen wir als Beispiel die Richtlinie VDI/bs 2552. Ausführende Betriebe werden dort, wenn überhaupt, als BIM-Nutzende gesehen. Das diese Betriebe in Zukunft jedoch ihr Leistungsportfolio zunehmend erweitern und auch eine treibende Kraft in der Digitalisierung, dem Klimawandel und der Ressourcenschonung sein werden, wird aktuell noch gar nicht richtig wahrgenommen.

BE: Können Sie an der Stelle eine richtungsweisende Initiative nennen?
Eine Initiative, die sich diesem Thema annimmt, ist das InnoVET-Projekt ProNet Handwerk, an dem ich auch mit meinem Team mitarbeite. Hier entwickeln wir z.B. ein Qualifizierungsangebot für das Handwerk mit spezifischem Fokus auf der gewerkeübergreifenden Zusammenarbeit mit der BIM Methode. Damit kann die für das Handwerk ausgerichtete BIM-Kompetenz gefördert werden, um in Zukunft nicht nur ausführende, sondern auch koordinierende Aufgaben übernehmen zu können.

 

BE: Das klingt nach einer interessanten Perspektive. Wie wir wissen, haben Sie auch am BIM-Leitfaden für Kommunen mitgeschrieben. Wo stehen diese und welche Herausforderungen sind bei den kommunalen Auftraggebern zu finden?
Ich würde den Kommunen jetzt Unrecht tun, wenn ich sagen würde, dass es eine Menge Herausforderungen gibt. Aus unseren Treffen in der Initiative KoBIM sehe ich, dass es bereits einige Kommunen gibt, die sich relativ früh auf den Weg gemacht haben und ihre Erfahrungen machen konnten und diejenigen, die z.B. erst jetzt beginnen sich dem Thema BIM zu nähern. Grundsätzlich kann aber für alle gesagt werden, dass es Problemfelder in den Bereichen Orientierung, BIM-Einführung und Pilotierung gibt. Insbesondere im Bereich der BIM-Einführung stellen sich viele die Frage, wie sie das Personal qualifizieren sollen und auf welches Ziel sie ihre Aktivitäten ausrichten sollen. Hier sind fokussierte, kleinschrittige Ziele eher anzuraten als ein ganzes Bündel. Das hilft auch bei der Festlegung von wirklich relevanten Daten, die erfasst werden sollen. Es zeigt sich, dass eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit durchaus erwägenswert ist, jedoch durch organisatorische und manchmal auch persönliche Barrieren erschwert wird. Auf der Mikroebene beschäftigen kommunale Vertreter oftmals Fragestellungen hinsichtlich Verfügbarkeit, Aktualität und Finanzierung von BIM-gerechten Techniklösungen, rechtliche Voraussetzungen, z.B. Vergaberecht, Datenschutz und Datensicherheit wie auch die Auswahl und Arbeit mit einer gemeinsamen Datenplattform.

 

BE: Eines Ihrer Kernthemen ist die Didaktik. Aufgrund von Corona haben wir gelernt auch anders zu lernen, wie z.B. in Online-Schulungen. Wie sieht es mittlerweile aus?
Die Situation rund um Corona war in der Tat ein Boost für das distante Lernen. Hier haben wir ein gutes Beispiel dafür, wie eine Notwendigkeit – oder bei Corona wohl eher Unumgänglichkeit – zu einer Weiterentwicklung und verbreiteten Akzeptanz von alternativen Lehr-Lernsettings geführt hat. Dabei muss aber bedacht werden, dass die online-gestützte Lehre auch nicht davon entbindet seine Schulung professionell, adressatengerecht, und zielführend zu planen, umzusetzen und zu reflektieren. Auch der Umgang mit und die sinnvolle Verwendung von neuen online-Tools will gelernt sein. Durch die zunehmende Verwendung von Lernplattformen haben wir gesehen, dass wir Lerninhalte dynamischer anpassen können. Was für viele nicht vorstellbar war, ist die Interaktion und auch die Zusammenarbeit, die wir auch in einer Online-Veranstaltung haben können. Was für Teilnehmende oftmals als Vorteil gesehen wird ist auch die räumliche und – je nach Ausrichtung der Lehr-Lernsettings zeitliche – Flexibilität. Dadurch reduzieren sich Anfahrtswege oder gar Übernachtungen. Für Lehrende ergeben sich Vorteile, z.B. bei der Erfassung des Lernstands und auch der Bewertung und dem Feedback.

Demgegenüber muss jedoch auch gesagt werden, dass im Gegensatz zu einer Veranstaltung in Präsenz, es in einer Online-Veranstaltung zu einer fehlenden Gruppendynamik kommen kann. Soziale Kontakte und das Initiieren von weitergehendem Austausch können auch eine Herausforderung sein. Auch wenn ich vorhin gesagt habe, dass die zeitliche Flexibilität ein Vorteil sei, so kann sie bei der Betreuung und Unterstützung der Teilnehmenden durch einen eventuellen Zeitversatz ggf. doch hinderlich werden.

 

BE: Und welche Formen des Lernens wären empfehlenswert?
Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Es kommt immer auf das Lernziel und die Adressaten an. Nehmen wir an, wir würden eine BIM-Schulung zur Orientierung planen. Da wäre z.B. ein erweitertes Video-Tutorial oder eine halbtägige Online-Schulung völlig ausreichend. Wollen wir aber Kommunikation, Koordination und den Austausch von Daten und Informationen adressieren, so müssen wir uns ein Setting überlegen, in dem wir all dieses abbilden können. Hier wäre eine hybride Veranstaltung, ggf. über mehrere Tage verteilt mit Interaktionselementen, erwägenswert.

 

BE: Worauf ist aus Sicht des Interessenten bei der Kurswahl zu achten?
Neben der inhaltlichen und methodischen Passung von Weiterbildungsangeboten ist es besonders relevant, Angebote zu wählen, die auf einer standardisierten und harmonisierten Basis fundieren. So kann sichergestellt werden, dass eine Gleichwertigkeit zwischen verschiedenen Weiterbildungen vorliegt und die Zertifikate übergreifend anerkannt werden. In Deutschland existieren bereits zunehmend Weiterbildungsangebote, die sich schwerpunktmäßig auf die ISO 19650 beziehen (z. B. BIM-Manager*in / BIM-Koordinator*in (DIN) der DIN-Akademie). Ein Beispiel standardisierter Ausbildung ist die DIN CERTCO Basisprüfung. Die buildingSMART-Grundlagenprüfung ist demgegenüber gleichwertig, da beide den gleichen inhaltlichen Rahmen berücksichtigen, wobei die DIN CERTCO Prüfung einen zusätzlichen Schwerpunkt auf die Blätter 1 bis 5 der international ausgelegten ISO 19650 legt.

Neben der zielgerichteten, inhaltlichen Ausrichtung sollten die in der Weiterbildung genutzten Lehr- und Lernmethoden ebenfalls kritisch geprüft werden. Eine umfassende BIM-Kompetenz wird nicht aufgebaut, indem ausschließlich Inhalte und Arbeitsmethoden vermittelt werden. Eine erfolgreiche BIM-Weiterbildung zeichnet sich dadurch aus, dass BIM erfahrbar und erlebbar gemacht wird. Hier sind z. B. projektorientiertes und problembasiertes Lernen in Rollen- und Planspielen sehr vielversprechende Ansätze bei der konkreten Umsetzung einer Qualifizierungsmaßnahme.

Daher sollte geprüft werden, dass innerhalb einer Weiterbildungsmaßnahme mindestens eine Lerngelegenheit angeboten wird, in welcher sich die Teilnehmenden erfahrungsbasiert und problemorientiert in einem quasi-realen Umfeld selbst ausprobieren können, um damit ihre Fähig- und Fertigkeiten zu schulen und zu festigen.

Vor allem das Arbeiten in einem „Digital Lab“ dient hierfür als ein sehr gutes Beispiel.

 

BE: Die Praxis im Reagenzglas einüben also. Wollen Sie noch einen Satz zum Abschluss sagen?
Ich bedanke mich recht herzlich für das Interview und wünsche allen Leserinnen und Lesern, dass sie ihren Platz im „BIM-Zug“ finden. Und denken Sie immer daran: BIM lebt nicht von der Technologie. BIM lebt von den Menschen, die es anwenden, die es leben! BIM lebt durch Sie!

 

BE: Das war ein schönes, fast romantisches Schlusswort! Vielen Dank zurück.