Wertschöpfung Gebäudelebenszyklus – BIM in FM
Alle sind sich einig, daß große BIM-Vorteile erst mit der Anwendung über den gesamten
Lebenszyklus beginnen. In der Praxis trifft man an der Stelle aber auf diverse
Herausforderungen. Um der Sache auf den Grund zu gehen, hat BIM-Events.de (BE) die
führenden Experten Annette von Hagel, PKS und Milos Mikasinovic, NUCE gesprochen, die sich in der Praxis an der Schnittstelle BIM/BIM bewegen.
BE: Frau von Hagel und Herr Mikasinovic: FM wird in Zusammenhang mit der BIM Methode immer häufiger genannt. Wieso richtet sich der Fokus hierauf und welche Auslöser sehen Sie hier für diesen Bereich für BIM im Betrieb?
Von Hagel: FM wurde bisher i.d.R. völlig isoliert von der Planung und dem Bauprozess betrachtet. Die Kosten des Gebäudebetriebs wurden unterschätzt. Diese Erkenntnis tritt mehr und mehr in den Fokus und findet mittlerweile auch Einzug in die Gesetzgebung. Der Gebäudebetrieb hat immer unter einem Mangel an aussagefähiger Dokumentation gelitten.
Alle konventionellen Herangehensweisen vernachlässigen in der Nutzungsphase ein Teil des Optimierungspotenzials, aufgrund unzureichender Kenntnisse der Gebäudesubstanz. Zahlreiche Berechnungsparameter beruhen zwangsläufig auf Annahmen, in Ermangelung exakter Daten.
Durch BIM lassen sich Optimierungen durchspielen und Alternativen berechnen.
Auswertungsberechnungen und -erkenntnisse gehen nicht mehr verloren.
Mikasinovic: Genau diese Optimierungen durch die BIM Methode sind der Leitgedanke im Building Information Management und umfassen den gesamtheitlichen Lebenszyklus eines Bauwerks. Etwa 90% der Kosten werden in der Betriebsphase generiert und sind für mich der klare Fokus. Intelligente Grundlagen vor einem Projektstart können bereits heute die nachhaltigen Dokumentationen für ein effizienzgesteigertes Facility Management erzeugen. Die grundlegende Aufmerksamkeit für diesen Bereich im FM kommt meiner Meinung nach aus der digitalen Transformation. Das tägliche Arbeiten mit Smart Phones, die Geschwindigkeit und Zugänglichkeit von Informationen haben unsere Arbeitsweisen komplett verändert. Dieser veränderte Anspruch der Digitalisierung im Umgang mit unserer Umwelt überträgt sich auf den täglichen Umgang mit unseren Gebäuden. Die operativen Fachleute aus dem Betrieb stellen sich die Frage: Geht der Betrieb im FM auch einfacher, schneller und intuitiver? Warum fehlt Dokumentation, wenn webbasierendes Arbeiten sofort und zu jedem Zeitpunkt alle Informationen liefern könnte?
BE: Wo sehen sie zum heutigen Zeitpunkt die essentiellen Schwierigkeiten? Gibt es Bauwerkstypen mit besonderen Auffälligkeiten für den Bereich FM?
Von Hagel: Die essentiellen Schwierigkeiten liegen in der mangelnden Dokumentation und der ungenauen Datenlage der Gebäude. Die vorhandenen Planunterlagen, falls sie digital vorhanden sein sollten, sind mittlerweile nicht mehr lesbar. Bauliche Änderungen während der Nutzungsphase wurden nicht nachgehalten. Gehen Wissensträger in den Ruhestand, verlassen auch wichtige Kenntnisse undokumentiert das Haus.
Es existieren keine verbindlichen Standards der notwendigen Informationen im Lebenszyklus einer Immobilie. Welche Informationen müssen wann und welcher Form abrufbar sein? Für wen müssen sie verfügbar sein und in welcher Qualität und Detailtiefe?
Facility Management wird von den Architekten bisher noch ungenügend beachtet. Der Bruch des Informationsflusses vom Bau in Betrieb in erschreckend. Die Erkenntnisse aus der Nutzungsphase fließen in die künftigen Neubau- und Sanierungsplanungen nicht wieder mit ein.
Ich hoffe, dass die Architekten in diesem Punkt künftig ihre Aufgabe erkennen. Bauwerkstypen kann man so nicht benennen. Allerdings sollte das Augenmerk besonders auf die technisch anspruchsvollen und sicherheitsrelevanten Gebäude gelegt werden. Wie kann der Gebäudebetrieb mit Reinraumlaboren, Flughäfen, Kliniken, etc. ohne eine Modellsimulation mit allen relevanten Daten und Informationen fortwährend sichergestellt werden?
Mikasinovic: Ich stimme Annette zu und möchte meine Perspektive auf die Fragestellung an zwei Schwerpunkten erklären. Zum einen existieren wie erwähnt für viele Gebäude keinerlei aktuellen und akkuraten Pläne noch die Zugänglichkeit zu den relevanten vorhandenen Dokumentationen. Das führt zu einer Intransparenz, welche zu einem massiv erhöhten Arbeitsaufwand in der Bewirtschaftung führt. Dieser Zustand ist in einem solchen Ausmaß Alltag geworden, dass diese Verschwendung und Ineffizienz einfach durch alle Beteiligten hingenommen wird. Zum anderen existieren strukturierte Projekte für das FM, welche aber durch den Wechsel von verschiedenen Betreibern Informationsbrüche oder isolierte Datensilos hinterlassen. Ein Wechsel eines Betreibers kann durch den einhergehenden Wechsel der Softwarelandschaften und CAFM-Systemen also auch des Datensilos große Informationsverluste mit sich bringen. Eine fast identische Problemstellung ergibt sich ebenfalls in der Übergabe von Informationen aus der Planung in den Betrieb bei der Fertigstellung eines Bauprojektes. Es ist atemberaubend wie linear Prozesse betrachtet werden. Es wird von meiner Seite aus ein zyklisches Denken der Prozesse gefordert. Alles ist miteinander verbunden. Die Unachtsamkeit, Ignoranz und Kurzsichtigkeit von Planungsbeteiligten und Ausführenden dem Betrieb gegenüber kann zu massiven Mehrkosten führen.
BE: Wie werden diese Problemstellungen heute in der Praxis angegangen? Gibt es hier praxistaugliche Lösungsansätze?
Von Hagel: Es gibt einige wenige Beispiele im Krankenhausbau. Voraussetzung ist immer die Einsicht, dass die Unkenntnis über die Gebäude und Liegenschaften eklatante Folgen haben kann.
Die Betreiberverantwortung muss im Bewusstsein der Verantwortlichen verankert sein. Es ist in der Tat erstaunlich, dass sich diese Erkenntnis noch nicht durchgesetzt hat.
Sicher kommt CAFM mehr und mehr zum Tragen. Die Hoheit über die CAFM-Inhalte obliegt nicht selten dem beauftragten Betreiber des Gebäudes. Ist er weg, sind die aktuellen Dokumente und die Erkenntnisse ebenfalls weg und alles beginnt von vorne. Die Gebäudebetreiber vernachlässigen i.d.R. die baukonstruktiven Elemente und führen keine Änderungen in der Dokumentation nach.
Lebenszyklusbetrachtung ist zwar ein gängiges Schlagwort, es werden aber immer nur Aspekte von Fall zu Fall beachtet. Es existieren mehrere Welten und jeder bedient nur seinen Teil. Die Rückbaufähigkeit und Wiederverwertung der verbauten Materialien und Elemente werden vielfach gänzlich ignoriert.
Zumal es irreführend ist, die Lebenszyklen mit zu großen Intervallen zu beziffern. Ein Gebäude kann zwar 80 Jahre und länger stehen bleiben, das ist baukonstruktiv möglich. Allerdings können weitere Faktoren für die Lebensdauer relevant sein, wie Änderungen an inhaltliche und gesellschaftliche Anforderungen (technisches Rathaus in Frankfurt), Stadtplanung und v.m. Dann sind die Aussagen zu Kosten und Rückbaufähigkeit bereits zu einem frühen Stadium nötig.
Wären die Folgen für die Eigentümer und die damit verbundenen Kosten frühzeitig erkennbar, würden sie über eine detaillierte Dokumentation verfügen und sie ständig nachpflegen.
Mikasinovic: Der digitale Zwilling ist für mich der Lösungsansatz und das funktionsfähige Werkzeug für den Lebenszyklus eines Bauwerkes. Die Digitalisierung ermöglicht es heute durch innovative, prozesserprobte und webbasierende Arbeitsweisen Technologien im Sinne der BIM Methodik in Kombination zu nutzen. Das bedeutet die Möglichkeit einen gesamten Lebenszyklus eines Bauwerkes mit der notwendigen Dokumentation und den Informationsflüssen erstmalig abbilden zu können. Wir befinden uns hier am Anfang der Erschaffung des digitalen Zwillings. Meine Überzeugung ist es, dass die heutigen Problemstellungen alleine durch „best practice“ zu einer markttauglichen Lösung ausgebaut werden können. Daraus können spätere Standards abgeleitet werden. Es gilt das Bestehende mit disruptiven Lösungen in Frage zu stellen. Hierzu arbeiten wir an einer Reihe von verschiedenen Pilotprojekten um relevante Zahlen, Daten und Fakten zu liefern. Es gilt die Intervalle für den Lebenszyklus wie angesprochen in sinnvollen Abständen zu beziffern. Das Ziel ist es an Use Cases einen operativen Mehrwert durch die Digitalisierung abzubilden und zeitgleich die verschiedensten Innovationen selbstkritisch zu hinterfragen und über den Bereich des Mögliche zu testen. Wer die Grenzen selber ausgetestet hat, kann diese auch sinnvoll
und zielgerichtet verschieben.
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